Schweizer KMUs zeigen den Weg mit KI
Die meisten generativen KI-Pilotprojekte scheitern – das zeigt eine aktuelle MIT-Studie. Meist liegt das Problem allerdings nicht an der Technologie selbst, sondern an organisatorischen Fehlern: unrealistische Ziele, fehlende Integration, mangelhafte Dateninfrastruktur. Beleuchten wir einmal jene Firmen, die es geschafft haben, mit KI einen Mehrwert zu schaffen.
Kleine Firmen im Vorteil
Gerade kleine Firmen und Organisationen könnten hier einen deutlichen Vorteil haben. Denn bei überschaubaren Strukturen mit kürzeren Entscheidungswegen lassen sich erfolgreiche KI-Einsätze oft viel schneller realisieren – wenn man weiss, worauf es ankommt. Kurz zusammengefasst sind dies:
- Wirklicher Nutzen: KI muss ein konkretes Problem lösen, nicht als «fancy» Prototyp beeindrucken. Was sich nicht durch Zeitersparnis, Kostenreduktion oder höhere Genauigkeit messen lässt, ist es wohl nicht wert.
- Einfacher Einstieg: Fokus auf Teilprozesse, nicht sofort auf ganze Wertschöpfungsketten. Ein Pilot mit 1–2 Use Cases statt All-in-One.
- Datenqualität & Datenlage: Existierende Dokumente, Texte, Sensoren oder Systeme nutzen. Diese Daten liegen bereits digital vor und sind oft schon sauber genug für eine direkte Anwendung.
- Nahtlose Integration: KI darf nicht isoliert sein. Eine Anbindung an CRM, ERP oder Workflow-Systeme ist entscheidend.
- Governance & Kontrolle: Datenschutz, Nachvollziehbarkeit, Fehlerkontrollen müssen von Anfang an eingebaut werden.
- Iterativer Aufbau: Lernen, verbessern, Stück für Stück skalieren. Pilot → Mindestversion → Ausbau.
Wo KI in Schweizer KMU tatsächlich funktioniert
Basierend auf publizierten Studien, Praxisleitfäden und dem wachsenden Einsatz von KI in Schweizer Unternehmen lassen sich folgende Einsatzfelder identifizieren, bei denen tatsächlich Mehrwert erzielt wird:
1. Compliance, Risikofallprüfung & Betrugserkennung
In der Finanzbranche und im Zahlungsverkehr zeigt sich: KI bei der Vorfilterung von Transaktionen und Verdachtsfällen hat einen hohen Hebel. Ein Beispiel: Mit Unterstützung von Innosuisse hat das Tessiner KMU Cube Finance ein intelligentes System entwickelt, das betrügerische Banktransaktionen wirksamer erkennt und damit der Geldwäsche entgegenwirkt. Manuelle Prüfungen werden massiv reduziert, Risikoanalysen beschleunigt.
Warum es funktioniert: Klare Regeln, hohe Datenverfügbarkeit (Transaktions-Logs), grosser manueller Aufwand, hoher Nutzen durch Fehlervermeidung.
2. Dokument-Extraktion & Textanalyse in Versicherungen
KI-gestützte intelligente Dokument-Verarbeitung kann die Bearbeitungszeit um bis zu 80% reduzieren und Fehlerraten um rund 90% senken im Vergleich zu manuellen Methoden. Versicherungsprüfer:innen und Sachverständige können so deutlich schneller dokumentieren, beurteilen und vergleichen.
Konkrete Schweizer Beispiele:
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SPS Switzerland hat eine KI-basierte OCR-Lösung für Schweizer Versicherungen entwickelt, die in der sogenannten «SPS Insurance Factory» physische und elektronische Dokumente automatisiert klassifiziert und Daten extrahiert. Die Lösung verarbeitet eingehende Dokumente vom Posteingang bis in die Kernsysteme der Versicherer und legt so die Basis für vollständige Dunkelverarbeitung.
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Das Schweizer Startup inait.ai entwickelte mit «Bumpt» ein KI-System zur hochpräzisen Schadenserkennung an Fahrzeugen, das beim Swiss Insurance Innovation Award 2023 mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurde. Die Lösung beschleunigt Schadensregulierungen erheblich.
Warum es funktioniert: Bestehende Dokumente als Input, strukturierte Ausgaben, hoher menschlicher Aufwand bisher, Fehlerkosten hoch.
3. Backoffice & Korrespondenz
Eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag von Axa Schweiz zeigt, dass rund die Hälfte der 300 befragten Schweizer KMU künstliche Intelligenz für Übersetzungs- und Korrespondenzarbeiten einsetzen. 38 Prozent nutzen KI auch für Werbetexte. Dies unterstreicht, dass KI heute routinemässig verwendet wird, um E-Mails, Verträge und Angebotsentwürfe vorzuschlagen, zu übersetzen oder zusammenzufassen.
Konkrete Schweizer Beispiele:
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Bexio aus Rapperswil nutzt seit 2023 KI mit dem System «Scan2Go» für die automatische Zuordnung von Banktransaktionen und OCR-Technologie zur Datenextraktion aus Rechnungen und Belegen. Die KI-basierte Belegauslese erkennt automatisch Inhalte auch ohne QR-Code und ermöglicht die automatische Verbuchung – was die Verarbeitung von Backoffice-Korrespondenz wie Belegen erheblich vereinfacht.
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Abacus aus Wittenbach setzt mit «DeepO» auf KI-basierte Rechnungsverarbeitung mit automatischer Buchung. Das auf maschinellem Lernen basierende System verwandelt unstrukturierte Daten in strukturierte Daten, reduziert manuelle Eingaben bei Verträgen und Finanzdokumenten massiv und ermöglicht eine durchgängige Automatisierung des gesamten buchhalterischen Ablaufs.
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Klara aus Luzern bietet KI-gestützte automatisierte Rechnungsstellung und Zahlungsabgleich. Das System liest PDF-Rechnungsdaten automatisch aus, gibt Hinweise auf korrekte Verbuchung und führt Zahlungsauslösung sowie Buchhaltungsabgleich durch – alles mit KI-basierter, lernfähiger Technologie.
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Yokoy aus Zürich hat sich auf KI-gestützte Spesen- und Lieferantenrechnungsverwaltung mit integrierter Betrugserkennung spezialisiert. Die Lösung liest Belege automatisch aus, validiert sie, prüft Regelverstösse und bereitet das Buchungsjournal inklusive Mehrwertsteuer automatisch auf – mit einem Automatisierungsgrad von bis zu 90% und nachgewiesenen Kosteneinsparungen von etwa 80% in der Verarbeitung.
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Der Schweizer Cloud-Anbieter Infomaniak integrierte 2023 einen KI-Schreibassistenten in seinen kSuite-Mail-Service. Die auf Open-Source-Technologie basierende Lösung verarbeitet alle Daten ausschliesslich in der Schweiz und hilft Unternehmen bei der wirksamen E-Mail-Bearbeitung.
Warum es funktioniert: Geringes Risiko, sofort messbarer Zeitgewinn, niedrige Einstiegshürde.
4. Qualitätssicherung und Predictive Maintenance
Für produzierende KMU mit Maschinen, Sensoren oder visuellen Inspektionssystemen ist KI oft ideal, um Bauteilfehler zu erkennen oder Instandhaltungsbedarf vorherzusagen. Eine umfassende Studie von ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Swissmem und Next Industries zeigt, dass Predictive Maintenance und Maschinenoptimierung zu den wichtigsten Anwendungsfeldern für industrielle KI in der Schweiz gehören.
Konkrete Schweizer Beispiele:
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Der Schweizer Data-Science-Spezialist LeanBI hat Predictive-Maintenance-Lösungen mit akustischen Sensoren für Industrieunternehmen entwickelt. Die Sensoren erfassen Geräusche kritischer Anlagenkomponenten wie Motoren, Lager oder Getriebe und werten diese mit Machine-Learning-Algorithmen aus, um drohende Ausfälle frühzeitig zu erkennen.
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Parametric aus der Schweiz bietet mit seinem RET3000-System KI-gestützte Predictive Maintenance für den Schienenverkehr an. Das System überwacht in Echtzeit Sensordaten wie Vibrationen und Temperaturen von Komponenten wie Lagern und Motoren, erkennt Anomalien durch Machine Learning und sendet automatisierte Warnungen, was Ausfallzeiten minimiert und Wartung optimiert.
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Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) entwickelte in Zusammenarbeit mit Fluence Energy (zu dem Nispera seit 2022 gehört) ein hybrides KI-Modell für Solarkraftwerke. Das «Physics-Informed AI»-System kombiniert Deep Learning mit physikalischen Modellen, um Energieverluste durch Defekte wie verschmutzte Module zu diagnostizieren und Wartungen wirtschaftlich zu planen. Die Lösung erreicht eine um 70% bessere Fehlererkennung als konventionelle KI-Modelle und ermöglicht eine deutlich kosteneffizientere Wartungsplanung.
Warum es funktioniert: Vorhandene Sensordaten, klarer Nutzen bei vermeidbaren Stillstandszeiten, hohe Kosten bei Fehlern. Die Schweizer Industrie profitiert dabei von einem fortgeschrittenen Stand in der Automatisierung und Digitalisierung sowie etablierten Netzwerken und leicht zugänglichem Fachwissen.
So wird Ihr KI-Projekt zum Erfolg
Basierend auf den Erkenntnissen erfolgreicher Projekte hier eine praktische Checkliste:
Schritt 1: Problemwahl & Use Case Bestimmung
- Wählen Sie einen engen, klar definierten Use Case, z.B. «Dokumentklassifikation von Rechnungen», nicht «komplette Automatisierung der Buchhaltung»
- Prüfen Sie, ob historische Daten vorhanden und digital verfügbar sind (z.B. Textdateien, ERP-Logs)
- Schätzen Sie den potenziellen Nutzen (Monetär, Zeitersparnis, Fehlervermeidung)
Schritt 2: Daten- & Infrastruktur-Vorbereitung
- Säubern Sie Ihre Daten (Duplikate, Inkonsistenzen)
- Bauen Sie eine Pipeline, die Daten automatisiert transformiert
- Sorgen Sie für Schnittstellen zu Ihren Systemen (ERP, CRM, Dokumentablagen)
Schritt 3: Pilot entwickeln & testen
- Erstellen Sie eine Mindestversion (MVP) mit Kernfunktion
- Setzen Sie menschliche Prüfungen parallel ein, um Fehler zu entdecken
- Definieren Sie klare KPIs (z. B. Genauigkeit, Zeitersparnis)
Schritt 4: Governance & Qualitätssicherung
- Legen Sie Verantwortlichkeiten fest (wer prüft, wer korrigiert)
- Verfolgen Sie Versionierung, Logging, Rückmeldungszyklen
- Integrieren Sie Datenschutz- und Sicherheitsmechanismen
Schritt 5: Skalierung & Weiterentwicklung
- Evaluieren Sie Erweiterungen (weitere Use Cases, mehr Datenquellen)
- Lernen Sie aus Fehlern und optimieren Sie iterativ
- Verankern Sie KI in Ihren Geschäftsprozessen, nicht als Insellösung
Die KI-Reise ist kein Sprint – sondern ein Marathon
Die erfolgreich umgesetzten Projekte zeigen: Es funktioniert, wenn man fokussiert, pragmatisch und verantwortungsbewusst vorgeht und über längere Zeit nicht locker lässt.
Wenn Sie in Ihrem KMU ein KI-Vorhaben planen – etwa in Produktion, Kundensupport, Dokumentprozessen oder Compliance – helfen wir Ihnen gerne beim Use Case Design, Datencheck, einer Machbarkeitsbewertung, und natürlich bei der Umsetzung eines Pilotprojekts.
- Fortune: MIT report: 95% of generative AI pilots at companies are failing
- Innosuisse: Artificial intelligence at the service of finance professionals
- Swiss InsurTech: Swiss Insurance Innovation Award 2023
- Sotomo: Research institute for social and political research
- ETH Zürich: The state of AI in the Swiss tech industry
- ZHAW: Intelligent operation of solar power plants: predictive maintenance using a hybrid AI model